Die Kelten

 

Das Keltische Jahr

 

In vier aufeinanderfolgenden Artikeln stellt Sylvia Botheroyd die Fixpunkte des keltischen Jahres, die vier Jahreszeitenfeste Samhain, Imbolc, Bealtaine und Lughnasa vor.

Lughnasa / Bealtaine / Imbolc / Samhain

 

Lughnasa

In diesem ersten Beitrag sucht sie zuerst Antworten auf das Wer, Wo, und Wie der Kelten und deren Beziehungen zu den modernen "keltischen" Ländern und steigt bei Lughnasa in den keltischen Jahreszyklus ein.

Den meisten von uns geht es doch ähnlich: Natürlich ist uns bekannt, daß die Iren - zusammen mit einigen Volksgruppen am Nord- und Westrand der britischen Insel und im Westen Frankreichs, den Schotten, Walisern und Bretonen - zu den keltischen "Restbeständen" Europas zählen, also Nachfahren von jenen sind, die die Griechen als "Keltoi", die Römer als "Galli" bezeichneten. Noch sprechen sie ja in den westlichen Küstenstreifen und Halbinseln, den Inseln und dem Hochland ihre eigene, keltische Sprache - modernes Irisch, schottisches Gälisch, Walisisch und Bretonisch. Müßten wir jedoch aus dem Stehgreif bestimmen, was "keltisch" denn nun bedeutet, wer diese Inselkelten denn sind, wie sie mit denjenigen des Festlandes zusammenhängen und wie sie sich von anderen Völkerschaften unterscheiden, kämen wir vermutlich doch in einige Verlegenheit.

Auch wenn wir der Botschaft der großen Keltenausstellung in Venedig von 1991 mit Recht mißtrauen, die uns diskret, aber mit Ausdauer die Kelten als die ersten Europäer vorstellen wollte, wissen wir spätestens seither, daß sich diese ursprünglich nördlich der Alpen lebende Völkeransammlung auf ihrem Ausdehnungshöhepunkt im 4. und frühen 3. Jahrhundert v. Chr. über einen breiten Streifen quer durch Europa, von den britischen Inseln und Portugal bis nach Ankara in der heutigen Türkei, verteilte. Fast so schnell wie sie ihre Territorien erobert hatten, verloren sie sie auch wieder - hauptsächlich an die Römer. Die Kelten des Festlandes und Britanniens, bis knapp vor die heutige schottische Grenze, wurden als Untertanen in deren nun wirklich zusammenhängendes Weltreich um das Mittelmeer herum eingegliedert. Sie verloren ihre eigenständige Lebensweise und ihre Sprache.

Beim Stichwort "Festlandkelten" kommen uns möglicherweise als erstes die prächtig ausgestatteten "Fürstengräber" der Hallstattzeit (ca. dem 8. bis 5. Jahrhundert v. Chr.) in den Sinn, wie z.B. dasjenige von Hochdorf bis Stuttgart. Hier war ein gesellschaftlich mächtiger, für die damalige Lebenserwartung sehr alter, imponierend gebauter Herr in vollem Goldbeschmuck - vom breiten Halsreifen bis zu den gepunzten Schuhbesätzen - auf einem bronzenen Sofa feinster Arbeit zur letzten Ruhe gebettet worden, inmitten der wichtigsten Besitztümer seines Erdenlebens: seinem Prunkdolch, dem vierräderigen Wagen mit dem neunteiligen Trank- und Speiseservice und einem 500 Liter Honigmet fassenden, mit Löwen verzierten Bronzekessel.

Für die anschließende Latène-Zeit dürfte als Beispiel das Gold der rankenverzierten Hals- und Armringe von Waldalgesheim bis zu den gewundenen Torques von Snettisham in unserer Erinnerung aufblitzen. Bronzene Tierfigürchen, jene fratzenhaften Masken,. die uns unvermittelt von Schmuck und Gebrauchsgegenständen anglotzen, Götterdarstellungen mit übertontem Haupt und riesigen Augen wie auf dem Gundestrupkessel oder der hirschfüssige Gott von Bouray machen deutlich, daß die Kelten eine eigene Mythologie, eine eigene Religion, überhaupt ein vom Klassischen sehr verschiedenes Weltbild besaßen.

Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. hatten immer wieder kleinere und größere Gruppen von Festlandkelten nach Irland übergesetzt. In der späteren Latène-Zeit kamen sie in mehreren größeren Wellen und brachten die gesamte, seit der Steinzeit ansässige Jäger-, Ackerbauer- und Viehzüchterbevölkerung unter ihre Herrschaft.

Keine römische Intervention störte jemals den Angleichungs- und Vermischungsprozeß. Zwar keltisierten die Ankömmlinge die ursprüngliche Bevölkerung in Sprache, Gesellschaftsstruktur, Technik und Religion, nahmen aber auch vieles, wie die heiligen Landschaften, die Berge, Hügel, Höhlen, Quellen, Seen und Flüsse mit der an ihnen festgemachten Mythologie in ihre Kultur auf. Ebenso dürfte die auffallende Betonung der Muttergöttin in der inselkeltischen Mythologie, überhaupt die Tatsache, daß sich matriarchalische und patriarchalische Züge in der inselkeltischen Kultur die Waage hielten, ein Erbe sein.

Vieles, was wir heutzutage als "typisch keltisch" einstufen, ist im Grunde eine Adaption vorkeltischer Vorstellungen. Ein Musterbeispiel ist das Megalithgrab von Newgrange, das zur Zeit der Ankunft der ersten Kelten bereits 2.000 Jahre alt war - älter als unsere gesamte christliche Kultur. Dennoch machten sie es zum Wohnsitz, zur glorreichen Residenz ihrer Götter, der Tuatha Dé Danaan, unter der Leitung des Vatergottes Dagda und seines jungen Sohnes, Oengus, Auf Tara, dem ideologischen Mittelpunkt Irlands, dem Sitz seiner keltischen Könige, befindet sich ein steinzeitliches Minigrab vom Newgrange-Typ, das in die Mythologie des Ortes miteinverwoben wurde.

Die beiden ebenmäßigen Hügelrundungen in Kerry unweit von Killarney, auf der Karte als "Paps" eingetragen, heißen auf irisch "Da Chich Annan", "die zwei Brüste der Anu", "Anu" bzw. "Danu" bezeichnet eine Quelle aus dem 10. Jahrhundert als "mater deorum hibernensis", als Mutter des irischen Göttergeschlechts, jener Familie, die neben den erwähnten Dagda vom Boyne u.a. auch Birgit und Morrígan einschließt, von denen im Zusammenhang mit den Jahreszeitenfesten noch die Rede sein wird.

Bekanntlich vollzog sich die Christianisierung Irlands ohne heftige Brüche - Vorstellungen, Bräuche, Sitten wurden eher verchristlicht als abgeschafft. Es waren die Mönche, die die irische Überlieferung - auch die vorchristliche - zum erstenmal zu Papier bzw. Pergament brachten.

Wieder waren es diejenigen, die das Land bestellten, Klein- und Kunstbauern, in der Mehrzahl irische Katholiken, die sie Bewahren sollten, zumal diese nach dem endgültigen Zusammenbruch der keltischen Gesellschaft im 17. Jahrhundert als deren einzige Träger übrigblieben.

Diese bäuerliche Tradition überdauerte 750 Jahre britischer Kolonialherrschaft, wobei sie die erste Schädigung nicht wiedergutzumachenden Ausmaßes erst durch die große Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts, durch Massensterben und -auswanderung und den daran geknüpften Rückgang der irischen Sprache erfuhr. Es ist nur erstaunlich, daß heute, trotz der auch in Irland in alle Kreise gedrungenen rational wissenschaftlichen Ausrichtung, der allgemeinen Mechanisierung und des Einflusses der Massenmedien immer noch so manches überlebt hat und in vereinzelten Fällen sogar an Boden gewinnt.

Das augenfälligste Beispiel, um zu veranschaulichen, wie sich vorkeltische und keltische, heidnische und christliche Elemente zu etwas Eigenständigem verbinden, das dann über Jahrhunderte, von Generation zu Generation bis in unsere Tage hineingereicht wird, ist nicht einmal der Sage entnommen, sondern betrifft das keltische Jahr, die Jahreszeitenfeste, die wichtigsten Ereignisse im keltischen, bäuerlichen Jahresablauf.

Der Ende es letzten Jahrhunderts gefundene Kalender von Coligny erhärtet zusammen mit anderen Fragmenten Caesars Aussage, die Druiden, die keltischen Gelehrten Priester, hätten sich u.a. mit Astronomie beschäftigt. Was im Musée de la Civilisation Gallo-Romaine in Lyon zu sehen ist, sind die Bruchteile einer Bronzetafel, auf der ein kompliziertes System verzeichnet ist, das sowohl den Sonnen- als auch den Mondumlauf berücksichtigt. 16 Spalten à 4 Monaten sind zu einem Fünfjahreszyklus von 62 Mondmonaten zusammengefaßt, 2 wurden nach Bedarf, als Ausgleich zum Sonnenjahr, eingeschoben. Charakteristischerweise begann das Jahr mit der dunklen Hälfte, denn die Kelten glaubten, daß das Dunkel das Licht in die Welt setze, der Tag aus der Nacht entstehe und analog dazu, das Leben aus dem Tod. Die Monate waren daher nach "dunkel" oder "hell" eingeteilt, die Tage nach "günstig" oder "ungünstig". Fixpunkte ergaben die Jahreszeitenfeste, die zugleich jeweils 3 Monate zu einer Zeitperiode zusammenbanden, den Jahreszeiten.

Im inselkeltischen Kalender führte Samhain,der 1. November den Winter ein, sozusagen die "Jahresnacht". Imbolc, der 1. Februar, bezeichnete den Frühlingsanfang, den "Jahresmorgen". Bealtaine, der 1. Mai, leitete zum Sommer, dem "Jahresmittag" über, und mit Lughnasa, dem 1.August, brach der Herbst an, der "Jahresabend", den Samhain beschloß und gleichzeitig in den Winter übergehen ließ. In Übereinstimmung zum oben erwähnten spielen die Vorabende zu den Festen eine ebenso große Rolle.

Kaiser Augustus ließ im von den Römern besetzten Gallien die dem Gott Lugh geweihte Stadt, Lugudunum, das heutige Lyon, den 1. August als seinen besonderen Ehrentag begehen. Es ist mehr als nur möglich, daß er Lughs besonderen Ehrentag usurpierte, um seinen gallischen Untertanen sein Gottkaisertum vor Augen zu führen.

Lugh war ein wahrhaft gesamtkeltischer Gott - Stämme von Asturien bis Schottland nannten sich nach ihm, und mehr als ein Dutzend Städte neben Lyon, wie Laon, Liegnitz oder Carlyle waren ihm geweiht.

Die irische Sage kennt mehrere Erzählungen von Lugh, dem Hellen, Scheinenden, mit dem schmückenden Beiwort "Lamhfada", "der-mit-der-langen-Hand", das seine Sonnenkomponente verdeutlicht. Er tritt als stattlicher, goldlockiger Mann auf, als Vater des Helden Cúchulain, Erfinder von Ball- und Brettspiel und der Reitkunst, und zudem nicht nur als perfekter Heiler und Held, sondern auch als "Meister aller Künste", was die bekannteste Geschichte, die "zweite Schlacht von Mag Tuired" schildert:

Die Tuatha Dé Danann sitzen beim Festmahl, obwohl die Lage kritisch ist, denn ihre Feinde, die Fomorier rüsten gegen sie auf. Lugh begehrt Einlass in den Palast auf Taram wird aber vom Torhüter abgewiesen - er habe Befehl, keinen einzulassen, es sei denn, er beherrsche eine den Tuatha Dé Danann unbekannte Kunst. Der Strahlende meldet sich darauf als "Schmied" an - aber einen solchen haben sie schon. Einen "starken Mann" gibt es ebenfalls unter den Göttern. Jetzt bombardiert Lugh den Torhüter mit "Harfner", "Held", "Dichter", "Geschichtsgelehrter", "Magier", "Arzt", "Mundschenk", "Bronzeschmied", und schickt den völlig Verunsicherten, den König zu fragen, ob sie denn einen unter sich hätten, der alle diese Künste in einer Person vereinige.

So tief beeindruckt ist der König, daß er dem Neuankömmling, nachdem er ihn in "fidchell", dem königlichen Brettspiel, mit Erfolg geprüft hat - kaum hat das Spiel begonnen, steckt Lugh schon alle Gewinne ein - den Thron überläßt. Dreizehn Tage lang huldigt ihm der alte König stehend.

Jetzt ist natürlich abzusehen, daß Lugh die Rolle des Heerführers gegen die Fomorier, die Kräfte des Chaos und des Verderbens, übernimmt und siegreich zu Ende bringen wird. Überdies zwang er seinen persönlichen Rivalen Bres, den Tuatha Dé Danann die Geheimnisse des erfolgreichen Landbaus zu verraten- den günstigsten Tag zum Pflügen, Säen und Ernten...

Lugh soll Lughnasa, wörtlich "Festspiel des Lugh" zum Andenken an seine Amme und Ziehmutter, Tailtiu, an ihrem Grabhügel im nach ihr benannten Teltown (Co. Meath) eingesetzt haben. Die königliche Frau befreite eigenhändig die Ebene von Meathvom Urwald Coill Cuon und wandelte sie innerhalb Jahresfrist in eine blühende Kleewiese um. Die harte Arbeit erschöpfte sie und sie starb am gebrochenen Herzen zur Erntezeit. Unschwer ist Tailtiu als eine Verkörperung derseit der Steinzeit verehrten Großen Mutter zu erkennen, die sich in der Bebauung des Bodens, in Korn und Gras für Mensch und Vieh aufopfert.

Lugh, der ihr sehr zugetan war, begrub sie feierlich unter einem mächtigen Hügel in der Schleife des Blackwater, nordwestlich von Navan, wo Reste von großen Ringwällen erhalten sind. Das ursprüngliche Fest - es begann 14 Tage vor und endete 14 Tage nach dem ersten, brachte hier eine der großen Volksversammlungen des alten Irland unter dem Vorsitz des Königs von Tara zusammen. Religiöse Zeremonien, Beratungen politischer und juristischer Art, Pferdewettrennen und Wettkämpfe, Dichterwettbewerbe, ein Jahrmarkt für Handel und Belustigungen aller Art füllten diesen Monat und natürlich wurden auch heiraten gestiftet. Ein seltsamer Brauch, die "Tektown-Heirat", der die Altertumsforscher im 19. Jahrhundert je nach dem Grad ihrer viktorianischen Sensibilität schockierte oder erheiterte, soll sich noch lange erhalten haben:

Eine kleine Bodenvertiefung, "Lag an Aonaight", in deren Mitte eine Quelle entsprang, wurde durch eine hohe Mauer in eine Nord- und Südhälfte getrennt. In der Mitte saß eine Tür mit einem Loch, groß genug, um die Hand hindurchzustecken. Junge Männer versammelten sich auf der Nord-, junge Mädchen auf der Südseite. Eins steckte die Hand durch das Loch und angelte sich so den Mann, der sie auf der anderen Seite ergriff. Damit galt das Pärchen als verheiratet - auf Zeit -, denn fairerweise durften die zwei durch Zufall Vereinten die Ehe auf ein Jahr und einen Tag ausprobieren. War sie nicht nach ihrem Geschmack, ließ sie sich lösen, indem Mann und Frau sich im großen Ringwall, Rath Dubh; Rücken an Rücken, aufstellte und aus den entgegengesetzten Ausgängen hinausmarschierten. Darauf durften sie ihr Glück noch einmal versuchen.

Bis 1770 - also ungefähr 1900 Jahre - fand OenachTailten statt, allerdings schließlich nur noch als Bauernversammlung. Lá Lughnasa, der 1. August - im modernen Irisch "Lúnasa" gleich August - war in mancher Hinsicht der wichtigste Tag im Jahreszyklus, denn er eröffnete die Erntesaison. In unserem Zeitalter des Welthandels, der Hypermärkte, Kühltruhen und Konserven ist kaum nachzufühlen, was dieser erst Erntetag für die Gesellschaft bedeutete. Wie die Tragödie der großen Hungersnot verdeutlicht, lebte das irische Bauernvolk bis ins letzte Jahrhundert von Ernte zu Ernte. Im Normalfall bedeutet das, daß die Sommermonate, vor allem die letzten "bitteren sechs Wochen" mager ausfielen. Die vorjährigen Kartoffeln waren aufgebraucht oder wertlos geworden, die neue Ernte noch nicht reif. Teures Getreide mußte zugekauft werden, für viele ein unerschwinglicher Luxus.

Lá Lughnasa wurde daher überall als Ende des unfreiwilligen Fastens herbeigesehnt. Auch heute noch ist es in vielen Gegenden der Brauch, zusammen mit Freunden und Verwandten die ersten Kartoffeln auszugraben und gemeinsam zu essen. Im Grunde wurde am 1. August die Ernte rituell vorweggenommen und so magisch gesichert, denn die Kartoffeln durften noch einige Zeit im Boden bleiben, um voll auszureifen. Dasselbe galt für das Korn, aus dem vor der Kartoffel das Festmahl bereitet wurde. Es bestand aus Brei und Brötchen, wobei alle Arbeitsgänge zwischen Sonnenaufgang und - Untergang ausgeführt werden mußten. So wurde denn morgens eine kleine Garbe von Hand aus dem Feld gezupft - in anderen Gegenden war es der Familienvater, der begleitet von der ganzen Familie, unter einem langen Segensspruch feierlich die erste Garbe schnitt - und gewöhnlich in der Kirche gesegnet. Das Korn mußte dann am Feuer gedarrt werden, unter Umständen wurde es sogar auf einer Steinplatte verbrannt, so daß die gehärteten Körner übrigblieben, denn nur diese wurden von den steinernen Handmühlen vermahlen. Nach mehrmaligem Sieben ließen sich aus dem Mehl Brei und Brötchen herstellen, die alle unsere Erfahrungen von der Köstlichkeit von Vollwertnahrung mit Sicherheit in den Schatten stellten.

Mutter Erde hatte zu dieser Jahreszeit eine zweite Ernte für ihre Kinder bereit - die Früchte der unkultivierten Natur, die Heidelbeeren. So gesichert durfte sich Lebensfreude und Zuversicht für die Zukunft wieder einstellen, und es waren vor allem Gruppen junger Leute, die sich nach dem festlichen Mittagsmahl aufmachten, um Heidelbeeren zu suchen, ein Brauch, der erst in den letzten Jahrzehnten nachgelassen hat. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei der sich Jungen und Mädchen ohne die übliche, strikte Aufsicht der älteren Generation bei Singen, Tanzen und Spiel vergnügen konnten. Es überrascht nicht, daß Lá Lughnasa häufig der erste Schritt in Richtung Ehe bedeutete.

Meist fanden diese Versammlungen junger Leute auf Hügeln statt, die ein prächtiges Panorama erlaubten, und ebenso oft waren diese Hügel bekannte "Feenhügel", also Orte, die mit den abgelegten Göttern verbunden waren. Máire MacNeill, die Expertin für Lughnasa, deren rund 700-seitige Studie - so der Untertitel- 195 Lughnasa-Plätze untersucht, kommt zu dem Ergebnis, daß viel mehr solcher Ausflüge, Versammlungen und Jahrmärkte zu diesem Komplex gehören, auch wenn sie durch Kalenderverschiebung oder neue Namensgebungen vom alten Datum und Namen getrennt sind.

In dieser Zeit machten die Menschen auch Ausflüge zu Quellen, Seen, Flüssen - auffallenderweise lauter Gewässer, die den Kelten als Erscheinungsformen der Muttergöttinnen bekannt waren.

Bis ins 19. Jahrhundert wurden Kühe und Pferde, um sie für das kommende Jahr vor Krankheit zu schützen, an Lughnasa durch tiefes Wasser getrieben. Bei letzteren lief dies, wie wir z.B. von Lough Owel in Westmeath wissen, gern auf ein regelrechtes Rennen unter Wasser hinaus, denn junge Burschen ritten die Tiere gegeneinander unter den anfeuernden Rufen einer aufgeregten Zuschauermenge.

Man bestieg Anhöhen und Bergspitzen und genoß die weite Sicht übers Land - ursprünglich dürfte es wohl um Bitt-, Opfer- und Dankgänge gehandelt haben. MacNeill zählt an die 90 Beispiele auf, von denen die meisten der Vergangenheit angehören. Für Bergwanderer unter uns sollten jedoch ein paar genannt werden: Slieve Donard (Co. Down), Slieve Gallion (CO. Derry), Corleck Hill (Co.Cavan), von dem der sonderbare keltische Dreikopf im Nationalmuseum stammt, Keshcorran (Co. Sligo) mit der beeindruckenden Höhlenfassade, ArdaHill (Co. Longford), Church Mountain (Co. Wicklow) und Drung Hill (Co.Kerry). Vor diesem Hintergrund nimmt der Berg nun doch eine etwas andere Dimension an. Ich will mich hier auf die bekanntesten der heute noch ausgeführten Besteigungen beschränken, die am letzten Sonntag im Juli stattfinden, also an dem dem 1. August am nächsten liegenden Feiertag.

Sie finden wie eh in der Form der Pilgerfahrt statt. Die berühmteste, jährlich in den überregionalen Zeitungen diskutierte, ist diejenige auf der Croagh Patrick, den herrlichen Kegel (765 m) über Westport und der Clew Bay (Co. Mayo). Zehntausende, längst nicht mehr nur aus Irland, nehmen jährlich an ihr teil, und es ist bei diesen Massen kaum faßbar, daß sie um die Jahrhundertwende fast ausgestorben wäre, hätte der Erzbischof von Tuam sich nicht kräftig um sie bemüht und die Kapelle auf dem Gipfel errichten lassen. Hier werden Messen gelesen für die Pilger, die oft - obwohl es seit einigen Jahren der Unfallgefahr wegen untersagt ist - dem uralten Brauch folgen und bereits in den nächtlichen Stunden hochsteigen, um den Sonnenaufgang auf dem Gipfel, der in vorchristlicher Zeit Lugh geweiht war, zu erleben. Der Aufstieg ist kein Spaziergang - das letzte, steilste und steinigste Stück ist weglos, und jeder krabbelt hoch, so gut es eben geht, manche nach alter Sitte sogar barfuß. Trotz der ununterbrochenen Gebete und der auszuführenden Rituale ist die allgemeine Stimmung voll freudiger Erwartung und gutmütig-freundlicher Nachbarlichkeit.

Mit St. Patrick stehen alle Iren, ob katholisch oder protestantisch, auf vertrautem Fuß. Er ist, für einmal unumstritten, der irische National- und Gesamtheilige. Der Legende nach verbrachte er im Jahre 411 die 40-tägige Fastenzeit auf der Bergspitze, umflattert von schwarzen Dämonenvögeln, die sich von seinem Glockengeläut nicht beeindrucken ließen, bis er ihnen voller Ingrimm die Glocke nachschmiß. Darauf erschienen wunderbare weiße Vögel, die himmlische Gesänge von sich gaben. Nichtsdestotrotz übte der Heilige zu Gunsten der Menschen solch strenge Askese, daß ihn sogar der Erzengel am letzten Julisonntag mahnen mußte... Aber warum findet die Pilgerfahrt am letzten Julisonntag statt? An sich müßte sie im Frühjahr stattfinden.

Die im irischsprachigen Raum auf der Dingle-Halbinsel begangene Fahrt auf den heiligen Berg von Kerry, den 953 m hohen Brandon Mountain am Westende der Bucht von Tralee gibt darauf Antwort. Hier erhielt St. Brendan, der Seefahrer (484-578), die göttliche Erlaubnis, in seinem Fellbötchen die Insel der Seligen zu suchen, was sich in der Lieblingsreiselektüre des Mittelalters, der Navigatio Brendani, niederschlug. In der Gaeltacht ist der Wallfahrtstag unter "DomhnachChrom Dub", "Crom-Dubh-Sonntag" bekannt. Auf der Ostseite des genauso schwierig zu ersteigenden Berges, in der protestantischen Kirchenruine con Cloghane, ist ein Steinkopf mit typisch keltischen Zügen eingelassen- hervorstehenden Augen, knappen, gerade eingeschnittenem Mund -, der als Abbild des Crom Dubh gilt. Es gibt kaum Zweifel, daß es sich um eine keltische Gottheit handelt. In der Legende ist Crom Dubh ein alter Heide, der dem Heiligen das Vierten eines Stieres schenkt und verblüfft zum Christentum übertritt, als er sieht, daß ein Zettelchen, worauf "Ave Maria" steht, in der einen Waagschale das mächtige Bratenstück in der anderen niederzieht.

In weniger freundlicher Kapazität treibt er sich auch in St. Patricks Legenden herum: dort macht er den Versuch, den Heiligen auszutricksen, indem er ihm voller Schadenfreude einen nicht zu bändigenden Stier andreht, in der Hoffnung, dieser würde ihn zerreissen. Wie er sieht, daß das wilde Tier lammfromm mit dem Heiligen mitgeht, konvertiert er kleinlaut.

Crom Dubh ist niemand anderer als der Widersacher Lughs. An sich ist er keine dämonische Macht, er ist nicht böse - die Volksüberlieferung besagt sogar noch, daß das Küssen seines Bildes Zahnschmerzen vertreibt - er ist der Gott, der die Wachstumskräfte beherrscht, aber nicht bereit ist, von seinen Produkten abzugeben. Sie bleiben im dumpfen Kreislauf des Werdens und Vergehens. Die Aufgabe Lughs, des Strahlenden ist es, ihm zum Wohle der Menschen die Ernte zu entreißen- wie ehemals Bres die Ackergeheimnisse. Und dazu braucht es den "Meister aller Künste", wenn man z.B. bedenkt, wieviele verschiedene Arbeitsgänge aus Korn erste Brot machen.

Klarerweise treten im Christentum die beiden Heiligen St. Patrick und St. Brendan an Lughs Stelle, womit sie auch gleich den Sieg der hellen, neuen Religion über die dunkle, alte vor Augen führen.

Auf den Bergpass Maumeen in den Mamturk Mountains (Co.Galway) ziehen die Menschen am Crom-Dubh-Sonntag, sowohl von der Connemara-als auch von der Joyce-Country-Seite. Hier wird die Messe auf irisch zelebriert. Auch hier kursiert die Legende vom wilden Bullen, den der Heilige jedoch in einen kleinen See versenkt, der heute noch "Lough an Tarbg", "Stiersee" heißt. Die moderne Statue zeigt jedoch den mitgefalteten Händen über das weite Land hinausblickenden Heiligen in Gesellschaft eines anderen Tieres - an seine Seite schmiegt sich ein Widder. Immerhin ist es das Wesen, das sich im allgemein keltischen Zusammenhang dem frühen Teutates zugesellte - den die Römer mit "Merkur" identifizierten -, und der wiederum dem Lugh sehr nahesteht. Der Widder verkörpert die Stoßkraft, sei es die aggressiv-kriegerische, die des vegetativen Wachstums, oder die der zur Fruchtbarkeit führenden menschlichen und tierischen Sexualität. Der Heilige hat sie offensichtlich gezähmt!

In Killorglin (Co. Kerry) ist es der Widder, der über dem einzigen überlebenden Lughnasa-Jahrmarkt in der Republik, im wahrsten Sinne des Wortes, präsidiert. Es handelt sich um die auch im Ausland bekannte "Puck Fair" am 10.-12. August. Der "Puck", der stattlichste - idealerweise weiße -Ziegenbock steht als "Jahrmarktskönig" bändergeschmückt und Kohlblätter mampfend drei Tage lang auf einer hohen Plattform und sieht zumeist philosophisch auf das bunte Treiben und heftige Trinken herunter. Am letzten Tag wird er im Triumph auf schwitzenden Männerschultern durchs Städtchen getragen und an den Meistbietenden versteigert.

Auch wenn Máire MacNeill den "Puck" eher als Jahrmarktsignet aus der Normannenzeit denn als ein heidnisches Überbleibsel werten möchte, so ist der Zufall doch enorm, daß ausgerechnet dieses Tier gewählt wurde. Letzten Endes schließen sich die beiden Bestimmungsversuche nicht grundsätzlich aus. Die Normannen in Irland hätten auf einheimische Muster zurückgreifen können. Sie standen und stehen noch immer zur Verfügung, gelegentlich bruchstückhaft und manchmal wirr, aber bei einiger Sorgfalt noch immer verständlich.

Wie heißt Brian Friels Stück von 1990, das nicht nur die Iren in Dublin, London und New York zu Beifallsstürmen hinriß und das wohl als irischstes seiner Werke in die Literaturgeschichte eingehen wird? Dancibg at Lughnasa, nicht Dancing in August! Das können wir uns nun getrost ansehen, als kulturelle Outsider, denn nun haben wir eine Ahnung davon, was es zu bedeuten hat.

Sylvia Botheroyd

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Bealtaine

Die Folge der Artikel zum keltischen Jahr richtete sich nach dem Bestreben, die keltischen Jahreszeitenfeste mit den Erscheinungsdaten des irland journals unter einen - zugegebenermaßen zuweilen etwas ausladenden - Hut zu bringen. Lughnasa, womit die Reihe begann, 1.August und Herbstanfang im keltischen Kalender, und Samhain, 1.November, Winteranbruch und Neujahrsfest in einem, hinkten allerdings mehr als einen Monat hinterher, da die Zeitschrift Mitte September bzw. um Weihnachten herum herauskam. Dafür stimmten die Beiträge über Imbolc und Beltene, 1.Februar, Frühlings- und 1.Mai, Sommerbeginn, wenn auch nicht mit den heute geltenden Frühlings- und Sommeranfängen, so wenigstens mit dem jeweiligen Monat überein.

Die annähernde Entsprechung vom Gelesenen mit dem erfahrbaren Jahresablauf ist wichtig. Auch der durchschnittliche, von den meisten natürlichen Rhythmen abnabelnde Zeitgenosse nimmt trotz Industrialisierung, Computerisierung, Heizungs- und Klimaanlagen, Welthandel und ausgeklügelten Konservierungsmethoden die Jahreszeiten irgendwie wahr, sogar wenn sie etwas durcheinandergeraten sind und Schnee an Ostern zum modernen Sortiment zu gehören scheint.

Halbwegs Nachvollziehbares, durch eigene Eindrücke Untermauertes - und seien es nur Kleinigkeiten wie ähnliche Licht- und Vegetationsverhältnisse, Temperaturen, Reaktionen von Tieren, denen man gelegentlich auf Weiden begegnet, das Beobachten von Bauern bei denselben, uralten, wenn auch vollmechanisierten Arbeiten auf dem Acker - kann uns helfen, die Denkweisen, Bräuche und Sitten der Inselkelten, aufgehängt an den vielfach schon von der Steinzeitgesellschaft beobachteten und in ein für sie sinnvolles Muster gebrachten Abläufen in der Natur, nicht als etwas Exotisches, jedoch hoffnungslos Rückständiges zu betrachten, sondern als eine mögliche menschliche Haltung, aus der sich sogar für unsere Zeit etwas lernen ließe.

Wissenschaftliche Erklärungen natürlicher Phänomene lassen den Menschen immer "außen vor", mythologische bringen Götter und Sterbliche, Reales und Übersinnliches in intimste Wechselbeziehungen und erlauben ihm daher, aktiv ins Weltendrama einzugreifen. Dazu boten die großen Feste (jeweils zum 1.November, Februar, Mai und August, einschließlich ihrer Vorabende) eine besondere Gelegenheit, denn durch Ritual und Magie, durch Beachtung von Tabus und durch symolträchtige Handlungen ließen sich Impulse für die Zukunft setzen, die das richtige, d.h. für den Menschen segensreiche und profitable Abrollen der Ereignisse garantieren sollten.

Der Jahreszeitenzyklus war der Antrieb, das eigentliche Lebensrad der keltischen Gesellschaft auf allen Ebenen. Den Vierteldrehungen vom Frühjahr zum Sommer, vom Sommer zum Herbst, vom Herbst zum Winter und wiederum zum Frühjahr, war jede Tätigkeit auf dem Bauernhof - bis zum Geschichtenerzählen - untergeordnet. Daraus resultierte die Nahrungs-, Wärme-, Kleider- und Vorratsbeschaffung, also alles, was das Individuum zum Überleben brauchte.

Das Zusammentreffen der jungen Leute, Werbung, Hochzeit, Familiengründung war ebenfalls saisonbedingt, was wiederum den Stamm am Leben erhielt. Bester Beweis für den druidischen Lehrsatz, wonach das Licht aus dem Dunkel, der Tag aus der Nacht, das Leben aus dem Tod entsteht... Die glanzvollen Versammlungen zu den Jahreszeitenfesten mit ihren religiösen, politischen, sportlichen und künstlerischen Veranstaltungen und den Gelegenheiten zu Handel und Vergnügen belebten das Zugehörigkeitsgefühl und erneuerten periodisch den Zusammenhalt eines ganzen Volkes.

Als Denkmodell besaß er umfassenden Symbolcharakter. Alle grundsätzlichen Erfahrungen, ob in Form von Gegensatzpaaren wie Hell und Dunkel, Tag und Nacht, Säen und Ernten, Leben und Tod oder als Kette von Übergängen, wie Mitternacht-Morgen-Mittag-Abend, Kindheit-Jugend-Reife-Alter, Saat-Wachstum-Frucht-Ernte ließen sich darin unterbringen.

Da der Zyklus mit Samhain, dem Winter, dem Dunkel, der Kälte beginnt, war er der beste Beweis für den druidischen Lehrsatz, wonach das Licht aus dem Dunkel, der Tag aus der Nacht, das Leben aus dem Tod entsteht.

Diesen Satz an sich hätten die Christen unterschreiben können - im Zusammenhang ergibt sich jedoch der fundamentale Unterschied, daß er sich auf die reale keltische Welt bezog, die ein in sich geschlossenes System bildete, da sie ihr spirituelles Gegenstück in Form der "Anderswelt" in sich trug. Die neue Religion war aber bestrebt, sich von dieser zu emanzipieren, und zwar mit Hilfe eines linearen Zeitbegriffs, der zwar vom Hier und Jetzt ausging, das echte, das ewige Leben aber erst in ferner Zukunft - nach dem jüngsten Tag - in einer besseren Welt erwartet. Noch das 8. bis 10. Jahrhundert propagierte diese Idee mit Nachdruck, indem es gerne Christus als Weltenrichter ins Zentrum seiner Hochkreuze stellt. Interessanterweise sind dies ausgerechnet durch die Kreuzesarme in Viertel geteilte Radkreuze.

Auch die irische Bevölkerung, vor allem die bäuerliche, schaffte sich ihre Synthese - es handelte sich dabei gewiß um fromme Christen, aber sie verstanden, das alte und neue Gedankengut miteinander zu verbinden. Ohne diese kulturelle Einbettung, ohne das Herstellen der Zusammenhänge, ist Beltene vor allen anderen Jahreszeitenfesten besonders anfällig dafür, als Zeichen der Rückständigkeit, als Ansammlung von Aberglauben abgetan zu werden - eine Taktik, die nicht nur von kirchlicher, sondern auch von weltlicher Seite so zielstrebig verfolgt wurde, daß manche der markantesten Bräuche und Sitten bereits im 18. und 19. Jahrhundert ausgestorben sind. Heute ist die mehr öffentliche Seite der Maifeierlichkeiten eine Angelegenheit der Kinder oder ganz Traditionsbewußter.

Bereits der Name "Beltene" leistet dieser Haltung Vorschub. Das moderne irische "Bealtaine" ist zwar das normale, gebräuchliche Wort für den Monat Mai und läßt sich in die harmlosen Silben "bel" - "hell, glänzend" und "tine" - "Feuer" zerlegen,aber Cormacs Glossar aus dem frühen 10. Jahrhundert interpretiert "Bel-tene" nicht nur als "glücksbringendes Feuer", sondern bringt es mit den Druiden in Zusammenhang, die am 1.Mai das Vieh zwischen zwei Feuern durchtrieben, um es vor Krankheiten im kommenden Jahr zu schützen.

Laut Kevin Danaher überlebte dieser Brauch in der Grafschaft Waterford und im Süden der Graftschaft Kilkenny bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts, und als ob das nicht genügend Wasser auf die Mühlen von Beltenegegnern wäre, läßt uns Geoffrey Keating (1. Drittel des 17. Jhd.) in seiner Irlandkunde (Foras Feasa ar Eirinn) wissen, daß diese Feuer zu Ehren des Gottes Bel entzündet worden seien, dem man auch Tieropfer darbrachte.

Zwar war es eine Zeit lang Mode - wohl aus einem mißverstandenen Samariterimpuls heraus - dies Keating als eigene Erfindung in die Schuhe zu schieben. Aber wozu hätte der redliche Priester - Gelehrte, der Zugang zu heute nicht mehr greifbaren Manuskripten hatte, sich auf so etwas einlassen sollen? Zudem ist ein "Belenus" vom Kontinent bis Britannien belegt, ein Gott, den nach Tertullian die Noriker, die Kelten Österreichs, mit besonderer Hingabe verehrten. Dieselbe Silbe "bel" macht ihn zum "Hellen, Scheinenden" und gibt ihm Apollo - ähnliche Züge. Ein "keltischer Apollo" führt denn auch auf mehreren Inschriften den Beinamen "Belenus".

Aber einmal davon abgesehen, paßt ein Gott mit Sonnen- und Heilerkomponenten, ein Gott der Wärme und des Lichtes, zu diesem Zeitpunkt vorzüglich in den Jahreszeitenzyklus. Der 1.Mai bildete als zweites keltisches Hauptfest die Achse zu Samhain, welche das Jahr in eine helle bzw. dunkle Seite, einen Jahrestag und eine Jahresnacht, ein Sommer- und ein Winterhalbjahr teilte. Ab Beltene steigt die Sonne weiter bis zur Sonnenwende - Mensch und Vieh konnten endlich die beengende, düstere, wohl nicht unähnlich riechende Behausung verlassen. Von jetzt ab spielt sich das Leben wieder im Freien ab. Kein Wunder, daß die Betonung von Beltene auf Wärme, Licht und Luft liegt.

Bis heute werden in der Mainacht in Irland Feuer entzündet, Feuer, die das Geschehen am Himmel unterstützen und auf der Erde nachzeichnen sollen. Denn von dieser Sonne hängt Gesundheit und Fruchtbarkeit von Mensch und Vieh und der Ertrag der Ernte ab, der alle, Zwei- und Vierbeiner, am Leben erhält.

Samhain und Beltene enthalten eine Reihe paralleler Punkte, allerdings unterschiedlicher Vorzeichen, aber auch einige identische, so daß sich eine hübsche mathematische Kurve anlegen ließe:

Zu Samhain mußte in Feld und Flur alles abgeräumt, zu Beltene spätestens bis zum ersten Kuckucksruf der Weizen im Boden sein. Zu Samhain kam das Vieh von der Sommerweide zurück, zu Beltene trieben es fröhliche Frauen und Kinder hinaus. Zu Samhain gehörte die Pacht bezahlt, Knechte und Mädge kamen nach Hause, zu Beltene wurde die Pacht speziell für Weide- und Grasland ausgemacht und wer immer eine Möglichkeit hatte, verdingte sich auf den reicheren Höfen zur Sommerarbeit. Samhain war ein beliebter Hochzeitsmonat, zu Beltene wurde abgeraten: Babies, die im Juni zur Welt kamen, hatten eben bessere Chancen als Januarkinder! Das Feuer zu Samhain besaß vorwiegend Schutzcharakter, das zu Beltene war vorwiegend ein Freudenfeuer.

Im vorchristlichen Irland trat das Volk sowohl zum Sommer- wie auch zum Winteranfang zu einer der großen Versammlungen zusammen: zu Samhain auf Tara, zu Beltene auf dem zweiten heiligen Hügel - zur Betonung ihrer rituellen Ebenbürtigkeit werden sie mit dem Nierenpaar eines Tieres verglichen - dem Hügel von Uisnach, der an der Straße zwischen Mullingar und Ballymore (Grafschaft Westmeath) ansteigt. Im heute jämmerlich vernachlässigten Ringwall auf der Kuppe brachten die Ausgrabungen von 1927 eine dicke Aschenschicht ans Licht - entweder die Reste eines "ewigen Feuers" oder - und wahrscheinlicher - eines in regelmäßigen Abständen entzündeten, großen Feuers.

Kreuz und quer verstreut fanden sich Mengen von Tierknochen, was in doppelter Weise bemerkenswert ist. Einmal, weil Keating als Ort der "Bel - Opfer" den Hügel von Uisnach angibt, zweitens, weil im irischen Englisch das Wort "bonfire" als "bonefire" ausgesprochen wird, was "Knochenfeuer" bedeutet - und noch Oscar Wildes Vater erzählte, daß z.B. in Dublin neben anderem Brennbaren massenhaft Knochen, Kuhhörner und Pferdeschädel in der Mainacht verfeuert wurden.

Limerick nahm dieses Feuer so wichtig, daß der Maiabend in der Stadt unter "bonfire-night" bekannt war. In Belfast brannten Feuerchen in den Hinterhöfen und Gassen. Ebensogut gehörten sie jedoch aufs Land, zu den Bauernhöfen, die sie oft in einem Ring um sich verteilten, und natürlich auf Anhöhen und Hügelrücken, die Gefährten von Uisnach und Tara.

Sowohl zu Samhain als auch zu Beltene gehörte demnach ehemals das Opfer, was auch der Brauch verrät, das Vieh am Maiabend oder -morgen zur Ader zu lassen. Offiziell begründet wurde dies als hygienische Maßnahme - was es bestimmt auch war, denn auf diese Weise wurde der Stoffwechsel und Kreislauf der Tiere, die so lange gestanden hatten, kräftig angeregt. Aber das Datum? Und dazu wurden die Kühe auch mit Vorliebe in jene Ringwälle und Befestigungen getrieben, die gelegentlich noch in unserem Jahrzehnt - wenn auch verschämt - den Feen zugeordnet werden. Den Berichten nach nahmen die Hirten etwas von dem Blut zu sich und ließen nicht alles auf die Erde rinnen - und das nicht nur in Notzeiten, zu denen es verständlicherweise zu einer Art Blutwurst verarbeitet wurde. Es erstaunt kaum, daß der Aderlass zu Beltene bereits Anfang des 19. Jahrhunderts kaum mehr praktiziert wurde.

Wie zu Samhain so sind auch zu Beltene die alten Götter lebendig und die Schranken zur Anderswelt fallen - diesmal jedoch nicht so sehr in der Nacht als am Maimorgen. Hexen, vor allem aber Feen und Elfen sind unterwegs zu ihren Sommerresidenzen - wer sich jedoch darunter niedlich - verspieltes Kleinzeug a la Walt Disney vorstellt, soll das lieber bleiben lassen: Auch wenn sie kleiner sind als Menschen, so handelt es sich bei "the good people" um die mächtigen, wenn auch unberechenbaren Hüter der Lebenskräfte. Sie können liebenswert und gütig sein - jeder kennt die Geschichte vom buckligen Fingerhütchen, dem sie den Höcker in der Mainacht abnahmen. Aber ebensoviele Geschichten schildern sie als boshaft oder sogar richtiggehend böse. Oft hängt ihre Reaktion jedoch von der moralischen Integrität ihres menschlichen Gegenübers ab - grundsätzlich kommt jede Form von Respektlosigkeit schlecht an!

Unter diesen Umständen galt für Beltene wie für Samhain, den Schutz des Hauses möglichst nicht zu verlassen und darüber hinaus auf keinen Fall im Freien zu schlafen. Auch dieses Fest ging in erster Linie die Familie an, sogar noch in weit stärkerem Maße als Samhain: ganz untypisch schotteten sich die sonst so gast- und menschenfreundlichen Familien zu Beltene von der Außenwelt ab. Kein Fremder, nicht einmal ein Bettler, wurde ins Haus gelassen. Weder Salz noch Wasser, Brot oder Mehl, und schon gar nicht Milch, Butter oder gar Feuer wurden aus dem Haus gegeben: zündete ein Nachbar die Pfeife am Herdfeuer an, hatte er sie gefälligst im Haus fertigzurauchen! Dasselbe galt für Gegenstände: das Mehlsieb, den Besen, den Kuhhalter, den Milchkessel, das Werkzeug, die Tiere... Nicht einmal die Asche vom Herdfeuer oder das Zusammengekehrte vom Fußboden durfte das Haus verlassen, es sei denn, man hätte den Kehricht mitverbrannt und das ganze würde - sorgfältig bedeckt - zum Acker getragen und unter die Krume gemischt.

Um das zu verstehen, muß man sich die negative Seite dieses Zeitpunktes im Jahreszeitenzyklus vor Augen führen: der Mensch lebt nicht von Luft und Wärme allein - die letzte Getreideernte lag ein Dreivierteljahr zurück. In der neuen Zeit halfen zwar die Kartoffeln etwas weiter, aber wie wichtig das Korn noch immer war, zeigt sich in der traditionellen Mai-Speise: einer Schüssel Getreidebrei!

Jeder, der irgendwo noch genügend Mehl finden konnte, bereitete sich ihn zu. Es war nichts anderes als ein Akt der Magie zur eigenen Beruhigung, denn wer so gut mit den Vorräten hausgehalten hatte, daß noch Mehl zu Beltene übrigblieb, brauchte sich für den Rest des Jahres doch gewiß nicht zu sorgen - er würde nicht verhungern.

Wer auch nicht zu verhungern brauchte, war der Besitzer einer Kuh, die die zweite Ingredienz des "porridge" lieferte. Jetzt - mit dem neuen, saftigen Gras von Beltene - setzte die Milchproduktion gewaltig ein und den Sommer über würde Milch in allen Variationen - als Getränk, süß oder sauer, als Butter, Sahne, Quark, Hüttenkäse, Molke, Buttermilch und Dutzenden von Käsesorten aller möglichen Festigkeitsgrade - auf dem Speisezettel der Iren stehen.

Alles, was sich aus Milch herstellen ließ, hieß "whitemeats", was mit "meat" - Fleisch - nichts zu tun hat, sondern "weißes Lebensmittel" bedeutet. Deutlicher läßt es sich nicht ausdrücken: das Überleben der Menschen hing von der Milch, die Milch von der Kuh, die Kuh vom Gras ab, während die neue Ernte, von allen möglichen Fährnissen bedroht, vor sich hinwuchs. Eine prekäre Situation und es ist verständlich, daß zuerst einmal alles Lebenswichtige rituell für die Familie gesichert wurde. Mit Brüchen von Tabus, z.B. einem Verletzen der eisernen Regel für Beltene "no spending, no lending, no borrowing" (weder ausgeben, noch leihen, noch borgen) verscherzte man sich das "Glück", den "Profit" der Farm für den Rest des Jahres. Andererseits reichten verblüffend einfache magische Handlungen, um dieses seinem Nächsten zu "stehlen", besonders wenn es vor oder am frühen Maimorgen geschah! Nicht nur die Bewohner der "Anderswelt", die übrigens in jeder beliebigen Gestalt auftreten konnten - also eben auch als mitleidheischender Bettler -, ebenso die lieben Nachbarn, grundsätzlich jedermann vor der eigenen Haustür konnte Schaden anrichten.

Milch und Butter, die beiden Hauptnahrungsmittel der Saison, waren an Beltene (Beltenebutter, die erste des Jahres, galt fast als Allheil- und auf jeden Fall als Schönheitsmittel) am stärksten gefährdet. Sogar Hasen standen im Verdacht, sich beides anzueignen: der Geschichten sind viele, in denen sich ein mit einer silbernen oder besprochenen Kugel angeschossener Meister Lampe als Hexe zu erkennen gibt, die so versucht, das Glück beim Melken oder Buttern an sich zu ziehen. Es war ja nicht damit getan, daß ein paar Liter Milch, ein Butterballen verschwanden. Von da ab ließ einen die eigene Kuh im Stich, indem sie keine oder ungenügend Milch lieferte und die weisse Flüssigkeit würde auch nach stundenlangem Bemühen nicht geruhen, Klumpen zu formen, während Milcheimer und Butterfass der Diebin überquollen.

Alles und jedes konnte zum Umleiten von "sochar bhainne", dem "Nutzen, Profit, guten Gehalt der Milch" benutzt werden: ein Strohhalm aus Nachbars Dach oder Stall, ein Haar vom Schwanz der Kuh, etwas Dung oder zusammengebackene Erde aus ihren Hufen - mit dem richtigen Zauberspruch zusammen, versteht sich. Der Rauch aus Nachbars Kamin ließ sich mit einem Sack abfangen - man brauchte nur aufs Dach zu steigen - oder dadurch beherrschen, daß man ihn nicht aus den Augen ließ und beim Rückwärtsgehen zum eigenen Haus vor sich hinsprach "Im an deataigh sin ar mo chuid bainne-se" - "Die Butter dieses Rauchs auf meine Milch". Allerdings ließ sich diese Gefahr umgehen, indem man am Maimorgen lange ausschlief, kein Feuer anmachte und in Gottes Namen ein kaltes Frühstück zu sich nahm.

Mindestens so wirkungsvoll war es, auf Nachbars Gelände Korn oder Gras auszureißen oder mit einer Schnurschlinge den Tau abzustreifen mit den Worten "Come, butter, come! Every lump as big as my bum!"- "Komm, Butter, komm! Jeder Ballen so groß wie mein Hinterteil!".

Mit dem Wasser, sowohl von der Quelle als auch vom Bächlein auf der Weide, ließ sich derselbe Mißbrauch treiben - das "Glück" ließ sich regelrecht absahnen, es mußte nur vor Anbruch des Maimorgens geschehen: mit dem ersten Kessel Wasser, dem "barra-bua an tobair", dem "was oben schwimmt in der Quelle", blieben Glück, Gesundheit und Wohlstand fürs Jahr erhalten oder schwanden dahin, je nachdem, ob der rechtmässige Besitzer oder ein Dieb den Eimer nach Hause trug. Wen wunderts, daß der Bauer und seine Söhne die ganze Nacht, zuweilen bewaffnet, die Quelle bewachten, die Töchter sich überhaupt nicht schlafen legten oder im Morgengrauen ein Wettrennen in Kauf nahmen, um als erste an der Quelle zu sein?

Glücklicherweise gab es für jedes Stück schwarzer Magie ein Stück weiße, wobei Gebete und Segenssprüche sich in allen Fällen als nützlich erwiesen. Etwas Salz, ein Stück Eisen oder ein paar Tropfen Weihwasser in die Quelle am Maiabend boten einen gewissen Schutz vor Übergriffen am Morgen. Ein Schwein am Maimorgen durchs Haus gejagt brachte sozusagen unspezifisches Glück, während der Ast einer Eberesche auf dem Misthaufen aufgepflanzt die Macht der Feen brach.

Überhaupt hatte es dieser alte, schon von den Druiden verehrte Baum in sich: Zweige im Stall, ein Kreuz mit einem Stecken auf die Flanke der Kuh aufgezeichnet, ein Ring aus einem Zweig um ihren Schwanz oder um den Stiel des "Butterfasses" gewunden wirkten als kräftiger Gegenzauber.

Wer ein Auge zukniff und durch ein solches Ringlein blickte, konnte ausmachen, was die Feen im Schilde führten. Ließen sie darauf erbost ihre berüchtigten Nebel aufsteigen, brauchte man nur seine Kleider verkehrt herum anzuziehen, um den Bann zu brechen. Sollte dies wider Erwarten keine Wirkung zeigen und versuchen sie, einen in die Anderswelt zu entführen, was sie mit Vorliebe zu Beltene taten - bei Kindern, Mädchen und jungen Müttern ließen sie oft einen apathischen, morosen Wechselbalg zurück statt des jugendfrischen Geschöpfes - half nur, ihr Anstands- und Schamgefühl drastisch zu verletzen, indem man sich Gesicht und Hände im eigenen Wasser wusch! Die Feen wanden sich vor Ekel in Krämpfen und waren mit sich selbst beschäftigt - die beste Gelegenheit zu verschwinden!

Immerhin ließen sie sich auch durch Trank und Speise günstig stimmen, besonders, wenn man ihnen freiwillig etwas Milch hinstellte oder die Wurzeln des "fairy thorn", des Feenbusches damit tränkte. Das war gewöhnlich ein uralter, einsamer Dornbusch, meist ein seit undenklichen Zeiten der Großen Mutter geheiligter Weißdorn...

Zwar war der traditionelle "Maibaum" Irlands oft ein Weißdorn, aber er stammte aus den Hecken oder dem Park des Grundherren - niemand, aber auch wirklich niemand hätte die Dummheit besessen, sich an einem echten Feenbaum zu vergreifen, um ihn bänder- und oft sogar kerzengeschmückt, wie den festländischen Weihnachtsbaum, auf seinem Hof aufzupflanzen. Was als Glücksbringer gedacht war und von Groß und Klein umtanzt wurde, hätte das fürchterlichste Unglück auf Haus, Hof und Familie herunterbeschworen.

Früher waren es die Erwachsenen, später die Kinder, die schon Wochen im voraus bunte Bänder und Stoffe, die Eierschalen von Ostern, farbiges Papier, Seidenreste hamsterten, letzteres vor allem in den Liberties von Dublin, wo sich die hugenottischen Seidenweber angesiedelt hatten, um damit den "May bush" zu schmücken. Jede Partei, ob ehemals die Zünfte, die Weber und die Bäcker, oder später die Kinder bestimmter Quartiere, wetteiferten miteinander um den schönsten. Dies artete - wie sollte es auch anders sein? - oft in einer wüsten Stehlerei aus, was sich bei den Erwachsenen nicht selten in Tumult und Krawall entlud, da sie bei dieser Gelegenheit auch fleißig dem Alkohol zusprachen.

Maibäume, lange Stangen, wie sie auf dem Kontinent zu Hause sind, dürften von den Engländern eingebürgert worden sein. Sie bildeten das Mittelstück einer breiten Palette von Volksbelustigungen, eine Mischung von Jahrmarkt und Zirkus, verschwanden dann aber nach der Union, bis auf das prächtige, 22 Meter hohe Exemplar mitten im Städtchen Holywood (Grafschaft Down).

Möglicherweise handelte es sich auch bei den formierten Umzügen von Maikönig und -königin, bei Aufmärschen von Tänzern, Landarbeitern, Musikanten, Sportlern, Clowns und Pantomimen um Import. Diese fanden gern in den Städten statt.

Die "May boys", Jugendliche, die mit grünen Zweigen aus allen verbürgten Druidenbüschen wie Hasel, Stechpalme, Holunder und Eberesche herumzogen, bildeten lose Gruppen und waren im Westen sehr beliebt.

Sie verstanden sich als eine Art Herolde des Sommers, verkündete doch der Refrain ihres Liedes, das Gras, Blumen, Milch und Kühe besang, immer wieder "Thugamar fein an Samhradh linn" - "Wir, wir selbst brachten den Sommer mit uns". Das "May baby", ein ähnliches Gebilde wie die "Brideog" (siehe "Das Keltische Jahr II: Imbolc") gehört wohl auch zu den älteren Überlieferungen in den Grafschaften Louth, Meath und Monaghan. Junge Leute beiderlei Geschlechts trugen die Puppe mit sich herum und sammelten singend Geld fürs Fest. Nach einem Bericht aus Louth pflegte sich dort eine ganze Pantomime darum herum abzuspielen: Das "May baby" auf den Armen einer drallen Bauerntochter wurde zu Fidelklängen von seinen phantastisch aufgeputzten "Eltern" umtanzt, einem Mann und einer Frau, die durch anstössige Gesten und Gebärden einen dichten Zuschauerkreis zum Lachen brachten. Aufhorchen läßt die Mitteilung, daß kinderlose Frauen aus weitem Umkreis herkamen, um sich - in der Hoffnung auf Kindersegen - das Spiel anzusehen.

Für periodische Aufruhr sorgten die "May balls", "Maibälle", und dieser Brauch wurde Ende des 18. Jhd. eingestellt, nicht jedoch ohne ein donnerndes Dekret des Bischofs von Ossory persönlich. Es ging dabei nicht um Tanzveranstaltungen, sondern um mit Gold- und Silberspitzen verzierte, an einem Maibaum aufgehängte Spielbälle. Von jedem im Mai verheiratete Paar wurde erwartet, daß es der Jungmannschaft solche spendete - wohl als eine Art Buße für die Übertretung der Sitte, nicht im Mai zu heiraten. Auch um diesen Maibaum wurde getanzt, wie üblich ging es hoch her, und da der Alkohol in Strömen floß, endeten die Feierlichkeiten des öfteren in Raufereien und Kämpfen, bei denen diverse Köpfe blutig und Schädel eingeschlagen wurden, zumal die jungen Männer mit ihren Hurling Stöcken bewaffnet anrückten. Nach mehreren Toten dieser Sorte schritt die Kirche mit aller Strenge ein...

Interessant ist, daß sich an den Maibällen ein kleiner Gelehrtenstreit entzündete. Wie sollte man sie auffassen? Die einen nahmen sie als ganz konkrete Gegenstände, hübsch verpackte Hurlingbälle und damit basta. Die anderen sprachen von Sonnen- und Mondsymbolen und setzten sie in eine mythologische Beziehung. Solches "Entweder-Oder-Denken" ist eindeutig unkeltisch, denn dies arbeitet verbindend mit "Sowohl-Als-Auch".

Was tut denn das ganze keltische Jahr anderes, als die konkreten Dinge des Lebens mit Mythologie zu verknüpfen? Warum nicht Hurlingbälle? Was hindert sie daran, Wurfgeschosse UND Symbole zu sein? Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Mond und Sonne, Silber und Gold, Weißdornblüte und Butterblume, weiße Milch und gelbe Butter - alles läßt sich problemlos im keltischen Jahreszeitenzyklus einordnen.

Sylvia Botheroyd

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Imbolc

Es ist alles andere als verwunderlich, daß gerade "Imbolc", die Benennung des keltischen Frühjahrsanfangs am 1. Februar und natürlich der vorausgehenden Nacht, aus der irischen Sprache gestrichen wurde, während die anderen Jahreszeitenfeste, Lughnasa (modern Lúnasa), Samhain und Beltene (modern Bealtaine), wenn auch in etwas veränderter Bedeutung und Schreibweise noch heute im modernen irischen Wörterbuch zu finden sind.

Bereits der gelehrte Bischof-König von Cashel, Cormac mac Cuillennáin, der 908 ums Leben kam, hielt es für notwendig, den Ausdruck in seinem Glossar, "Sanas Cormaic" (wörtlich "Cormacs Gewisper" = Preisgabe eines Geheimnisses) aufzunehmen. Mit anderen Worten war schon im frühen 10. Jahrhundert nicht einmal mehr den Gelehrten bekannt, was dieser genau zu bedeuten hatte. Cormac leitet den Übergang im keltischen Kalender vom Winter zum Frühling, von der Jahresnacht zum Jahresmorgen, "óimelc", "imolg" bzw. "imbulc" vom "oi","Schaf", und "melcg", Milch her, daß heißt er definiert den Frühlingsanfang als den Zeitpunkt, ab dem die Mutterschafe Milch produzieren.

Der Zusammenhang Schaf - Frühlingsbeginn ist noch unmittelbar nacherlebbar in jenen Gegenden Irlands, in denen die Hügelhänge im Frühjahr zum Vergleich mit blauem oder graugrünem Musselin mit weißen Tupfen einladen würden - sofern letztere endlich einmal stille hielten. Allerdings tut es Verstädterten um einiges besser, von der dichterischen Distanz wegzukommen und mit voller Aufmerksamkeit diese wenigen Tage alten Lämmer zu betrachten, die zwischen ihren wolligen, fürsorglich mähendenden Müttern vor lauter Lebensfreude einfacherratische Luftsprünge vollführen müssen, und wahrzunehmen, mit welcher Begeisterung sie die warme, lebensspendende Milch in sich einsaugen, wobei das Schwänzlein wie ein Propeller geht.

Auslegungen neueren Datums von "Imbolc" gehen mit "Geburt, Entbindung, ritueller Reinigung" in dieselbe Richtung. Alles weist darauf hin, daß Imbolc ursprünglich das dank der weiblichen Fähigkeiten zu gebären, zu ernähren und zu schützen wieder in Gang kommende Leben feierte.

Es sind jene Fähigkeiten, die in der heidnischen Gesellschaft niemand besser verkörperte als die seit der Steinzeit verehrte "Große Mutter", die die Kelten einerseits unter einer großen Zahl lokaler Namen kannten, andererseits auch unter überregionalen, z.B. "Brigantia" vorwiegend auf dem Festland und "Brigit" auf den Inseln.

Beide gehen auf einen indoeuropäischen Stamm mit der Bedeutung "Hoheit, Erhabenheit, Macht, Wirkung" zurück: Brigantia" Birgit wäre demnach die Hohe, Hehre, Mächtige, Wirkende, die oberste Göttin. Europaweit gehen Stammes-, Orts- und Flußnamen auf sie zurück. Ein Musterbeispiel sind die Brigantes, ein Keltenstamm, der aus Bregenz, seiner Hauptstadt am Bodensee, auswanderte, zuerst nach Britannien, wo Flußnamen wie "Barrow", "Braint" und "Brent" vorkommen, und darauf nach Irland, um sich u.a. auf der Ebene von Brech niederzulassen.

In Irland nahm die Göttin unter dem leicht abgewandelten Namen "Brigit" einen solchen Rang ein, daß dieser zu einem synonym für "Göttin" wurde.

Das "Lebor Gabála Érenn" (das "Buch der Eroberungen Irlands"), dieses seltsame Machwerk aus dem frühen Mittelalter, das verzweifelt versucht, die keltische und die christliche Mythologie in Einklang zu bringen, stellt Brigit als Tochter des großen Dagda vor. Andere Quellen nennen sie seine Gemahlin oder Schwester, Cormacs Glossar bezeichnet sie als Dichterin und Prophetin, als Schutzherrin der Dichter, und nennt ihre zwei gleichnamigen Schwestern Brigit, die Heilerin und Brigit, die Schmiedin Patroninnen der Ärzte bzw. der Schmiede und Handwerker, das heißt er zeigt sie als typische keltische Trinität, eine Göttin unter drei Aspekten.

Allein schon der Besitz einer magischen, weißen Kuh, an anderer Stelle der beiden ebenso magischen Ochsen Fea und Femen, reiht sie in die Tradition der indoeuropäischen Muttergöttin ein. Sie sorgte für das Vieh und die Ernte, erhielt in Gestalt der Flüsse das Land fruchtbar, stand den Frauen bei der Geburt bei und hielt ihre schützende Hand über Kleinkinder. An unzähligen Quellen, die ihre lebensspendenden Kräfte symbolisieren, wurde sie verehrt. Im Tod nahm sie alle ihre Geschöpfe, ob Mensch, Tier oder Pflanze im Mutterschoß der Erde wieder auf.

Ihr göttliches Attribut war das Feuer, noch Cormac apostrophiert Brigit als "Breo-saigit", "feuriger Pfeil", ein Feuer vom selben kosmischen Ursprung wie die Sonne, womit der Göttin eine nicht zu unterschätzende Sonnenkomponente zukommt. Nicht von ungefähr ist das Sonnenzeichen, die Swastika, ihr Symbol.

Auch in dieser Beziehung besteht ein direkter Zusammenhang mit Imbolc: nicht nur das Leben auf der Erde, auch das kosmische Licht am Himmel kommt zurück. Anfangs Februar werden die Tage merklich länger - ein Blick in den Taschenkalender bestätigt, daß es sich verglichen mit der Wintersonnenwende um rund eine Stunde und zwanzig Minuten handelt.

Die keltische Mythologie mit ihrem Gleichgewicht zwischen den weiblichen und männlichen Kräften deutet an, daß sich - sogar bei immer stärkerer Betonung der Kriegeraristokratie - das Gewicht in Irland nur langsam in Richtung einer patriarchalischen Gesellschaft verschob. Erst das Christentum und sogar da erst die Annahme des kontinentalen, brachte den Abschluß dieses Prozesses.

Für die Missionare war die kaum gebrochene Verehrung der Muttergöttin in Irland ein schwerwiegendes Problem, ging damit doch eine Wertschätzung der Natur und der weiblichen Sexualität einher, also genau jener Dinge, woran die an der Genesis geschulten Männer den Sündenfall der Menschheit festmachten und worauf ihre Furcht vor ewiger Verdammnis gründete.

Den Namen eines heidnischen Jahreszeitenfestes, Imbolc, das im Bild des Mutterschaftes und des Lammes die Kräfte der großen Göttin evozierte und bewahrte, ließ sich jedoch relativ leicht zum Verschwinden bringen - die Substanz, um die es ging, jedoch nicht. Die einzige Lösung war die Verchristlichung der großen Göttin zur Gestalt der künftigen Nationalheiligen, St. Brigid von Kildare, und der Übertragung ihres Festtages, von da ab "Faíl Brighde", "Fest der Brigid", auf die fromme Äbtissin, die von 452/4 bis 524 (?) gelebt haben soll.

Ob diese eine historische Persönlichkeit war, ob sie im Dienst der Großen Göttin stand, ob soe, wie vermutet wird, tatsächlich das der Brigid geweihte Feuerheiligtum in Kildare (westlich von Dublin) eigenhändig christianisierte, all das muß hinter der Frage zurücktreten, inwiefern der Versuch gelang, die Muttergöttin durch eine der Welt entsagende, christliche Nonne zu ersetzen.

Nun, vollen Erfolg, das Physische zu verdrängen, zeitigen höchstens die genormten, abgehobenen Gipsstatuen der Heiligen, die mancherorts, hauptsächlich aus ökonomischen Gründen, an heiligen Quellen stehen. Die Blumen, Votivgaben und Briefe zu ihren Füßen verraten jedoch, daß in den Herzen und Köpfen der Gläubigen das Bild einer zwar sehr spirituellen, aber zugleich auch praktischen, tatkräftigen, hilfreichen und mütterlichen Frauengestalt weiterlebt, der nichts Menschliches fremd ist.

Was die Viten betrifft - auch die offizielle des Bischofs Cogitosus, der sich ca. 100 Jahre nach der Heiligen Tod sein Material aus der mündlichen Überlieferung zusammensuchte - verblüfft nur, wie oberflächlich, einmal von der genannten Verschiebung abgesehen, die Christianisierung erfolgte.

Im Kloster von Kildare hüteten weiterhin 19 weißgewandete Frauen das von einer Weißdornhecke - dem der Großen Mutter heiligen Gehölz - umgebene Feuer. Jedem männlichen Wesen war Zutritt bei schlimmster Strafe untersagt.

Weiterhin breitete eine schon damals uralte Eiche ihre Zweige darüber aus: es war der Baum, der dem Kloster "Cill Dara", "Eichenkirche" den Namen gegeben hatte - er sollte, verehrt und gepflegt, bis ins 10. Jahrhundert überleben.

Brigids Vater war ein begüterter Adliger, die Mutter hingegen eine Leibeigene. Die rechtmäßige Gemahlin bestand zwar auf dem Verkauf der Rivalin, konnte aber nicht verhindern, daß sich ihr Mann das Recht auf das Kind sicherte, da diesem ein Druide eine glänzende Zukunft voraussagte. Die Mutter kam zuerst an einen Dichter, darauf an einen Druiden. Ihr Kind wurde beim ersten Sonnenstrahl "zwischen den Welten", weder "im Haus noch außer dem Haus" geboren, da sie mit ihm auf einer Türschwelle niederkam. Licht und Feuer begleiteten Klein-Brigid von Geburt an: einmal rennen alle Nachbarn zusammen, weil das Haus samt dem alleingelassenen Säugling lichterloh brennt - das Kind aber schlief selig zwischen dem, was dann der Vitenschreiber als "Flammen des heiligen Geistes" zu definieren sucht.

Beim Hüten der Kühe - St. Brigid bleibt Schutzpatronin des Viehs und wird gern mit Kühen, Schafen und Lämmern abgebildet - gehen Kuhfladen in Stichflammen auf, sobald sie sich ihnen nähert. Das etwas kränkelnde Mädchen wird mit der Milch einer rotohrigen Andersweltkuh großgezogen. Die Heranwachsende ist äußerst geschickt im Butter, verschenkt jedoch die goldenen Ballen an Bettler. Wie der Meister ihrer Mutter plötzlich erscheint, um den Fortgang der Arbeit zu überprüfen, holt sie, einen Zaubergesang singend, eine weitere Ladung nach der anderen aus dem Butterfaß. Was sie anfaßt, gedeiht und vermehrt sich, ihre Speisekammer wird niemals leer, ihre Kühe lassen sich dreimal täglich melken und produzieren wahre Butterberge und Milchseen. St. Brigid nährt damit die Menschen, mit Vorliebe die Alten, Armen und Kranken und übt dabei dieselbe rücksichtslose Freigebigkeit wie ihre Vorläuferin, die Große Mutter.

Sie hält die Fruchtbarkeit von Mensch, Tier und Pflanze unter Kontrolle. den Apfelbaum einer Geizigen verflucht sie, so daß er niemals mehr Früchte trägt, wo sie auftritt bringen Tiere gesunde starke Junge zur Welt und im Fall eines Mannes, der sich über seine gefühlskalte Frau beklagt, gibt sie ihm Weihwasser - als Liebeszauber. Auch über dessen Wirkung werden wir informiert. Sie war so. daß der Mann sich vor seinem Eheweib kaum mehr zu retten vermochte...

Einer Bettlerin schenkt sie ihren heilkräftigen Gürtel, auf daß diese ein Auskommen habe, gibt einer Witwe das ihr zu Ehren gekochte Kalb / Lamm lebendig zurück, heilt Kranke und Gebrechliche und erweckt Tote.

Sie hat nicht nur Macht über das Feuer - versorgt damit und schützt gleichzeitig davor - sondern auch über die übrigen Elemente. Ihren nassen Mantel hängt sie an einem Sonnenstrahl auf - was notabene weder St. Patrick noch St. Brendan fertigbringen, bannt Unwetter und Stürme. Ihre Leute bringen z.B. in Ruhe die Ernte ein, während um ihren Kopf schwarze, blitzdurchzuckte Wolken stehen.

Das St. Brigidskreuz, das alte Sonnenzeichen der Göttin, wird ihr als ihre Erfindung zugeschrieben. Sie soll es aus den Binsen der Fußmatte geflochten haben, um ihrem sterbenden Vater, einem bis dahin unverbesserlichen Heiden, die frohe Botschaft zu erklären. Überflüssig zu sagen, daß er als Christ starb.

Als einzige Frau erhielt sie auch die Bischofsweihe. Manche Viten suchen dies damit zu entschuldigen, daß der heilige Geist über Bischof Mel gekommen sei, so daß er, vermindert zurechnungsfähig, "nicht mitbekam, was er aus seinem Buch rezitierte".

Aber auch ohne Institutionalisierung hätte St. Brigid höchste Ehre im Volk genossen. Dichter komponierten begeisterte Hymnen auf die Heilige. Die von St. Brocan, eine der ersten erhaltenen, hebt an mit "Brigid, Hervorragende, golden funkelnde Flamme! Führ uns, Sonneglänzende, Herrliche, zu unserem ewigen Königreich...", während das "Buch von Lismore" mit der kaum noch zu überbietenden Steigerung schließt:

Sie ist die Verkünderin Christi,

Sie ist die Königin des Südens,

Sie ist die Maria der Gälen!

Allein auf dem Hintergrund Göttin/Heilige ergibt die Volksüberlieferung zu Imbolc/St. Brigids Geburtstag überhaupt einen Sinn. Jahrhundertelang wurde sie unverändert weitergereicht, auch wenn die Kirche gewisser Bräuche, wie z.B. dem Gang zu den St. Brigid geweihten Quellen - die berühmtesten sind wohl in Liscannor, Grafschaft Clare und Faughart, Grafschaft Louth - niemals recht froh wurde. Erst diese puritanische Tendenz im Verband mit der ab den Vierzigerjahren dieses Jahrhunderts eindringenden modernen Skepsis ließen manches als "Aberglauben" auf der Strecke. Interessant ist, daß seit den Siebzigern ein milderer Wind weht und daß von jüngeren Pfarrern neue Impulse, zuweilen zu regelrecht organisierten Prozessionen zum 1. Februar gekommen sind. Allerdings wurden dabei auch ein paar der alten St. Brigids - Wallfahrten zwar wiederbelebt, aber vermutlich aus Rücksicht auf die Älteren auf wärmere Daten verschoben!

In der Hauptsache spielt sich St. Brigid’s Day im Haus ab. Solange eine offene Flamme auf dem Herd, dem Mittelpunkt auch der ärmlichsten Hütte brannte, war St. Brigid eine lebendige Realität. Feuer bedeutete in einer für uns kaum mehr nachvollziehbaren Weise Wärme, Nahrung, Sozialisierung - Leben. Aber auch mit Mikrowellen ausgerüstete Küchen verzichten selten aus St. Brigidskreuz - auch wenn vielleicht von der gekauften, lackierten, "geschönten" Sorte. Das kunstgerechte Anfertigen der Kreuze bildet das eigentliche Herzstück der St. Brigidsfeier. Noch wird es in manchen Familien am Vorabend des 1. Februar aus Stroh oder Binsen geflochten. Kindergärten, Schulen, Kirchgemeinden wetteifern heutzutage wieder untereinander in der Herstellung - es ist also noch nicht zum reinen Touristenmitbringsel verkommen, obwohl es uns im Sommer manchmal so scheinen möchte.

Der Formenreichtum hat nachgelassen, denn früher hielt sich jeder Landstrich an seine eigene Überlieferung. Weitverbreitet waren die an die mexikanischen "Augen Gottes" erinnernden Kreuze: Strohhalme wurden über ein Holzkreuz zum Rhombus gewoben, mehrerer zusammen ergaben ein imposantes Gebilde. Praktische Museumsstücke sind das Kreuz im Kreis, das bogenförmig aus zwei mal drei Strängen Gewobene oder das mit den über 90-gradigen Armen. Am häufigsten sind die drei- oder vierarmigen von links nach rechts gerichteten Swastika. Um ein Stäbchen gezwirbelt ergeben sie die optische Täuschung einer gelben Scheibe - der Sonne!

Die Kreuze wurden und werden unter Gebeten in Haus, Stall und Scheune aufgehängt, zum Schutz von Mensch und Vieh vor Feuer, Sturm, Blitzschlag, Krankheit und Seuche. Ganz abgesehen davon, nicht einmal ein keltischer Böser Geist wäre so unbesonnen, eine Türschwelle zu übertreten, über der ein St. Brigidskreuz hängt!

Nach Kevin Danaher war im Norden der Republik das Kreuzflechten Teil eines hübschen Rituals. Ein Mädchen, passenderweise eine Tochter namens Brigid, übernahm die Rolle der Heiligen und Schlüpfte zur Tür hinaus. Sie klopfte dreimal an unter der dreimalig wiederholten Aufforderung auf irisch: "Knieet nieder, bezeigt Ehre und laßt St. Brigid ins Haus ein", andernorts auch "Knieet nieder, macht die Augen auf und laßt Brigid ein". Die drinnen antworteten: "oh komm herein, du bist hundertmal willkommen" bzw. "Wir grüßen Dich, wir grüßen Dich, edle Frau."

Das Mädchen kommt darauf mit einem Armvoll Binsen, die nicht geschnitten, sondern ausgerupft werden müssen, herein und legt sie während des festlichen Abendessens unter den Tisch. Erst nach der von Tisch- und Dankgebet eingerahmten Mahlzeit beteiligt sich die ganze Familie am Flechten. Übriges Material wurde neben dem Herd aufgeschüttet und mit einem Laken bedeckt - als Bett für die Heilige, die man an diesem Abend in allen Familien als Gast erwartete. Sie kam, um Mensch und Tier persönlich ihren Segen zu erteilen. Deshalb war das ganze Anwesen nicht nur aufgeräumt und blitzblank geputzt sondern, wenn es sich nur irgendwie machen ließ, wenigstens die Küche neu getüncht worden.

Die Tiere lagen gut versorgt auf frischem Stroh und die Hausfrau hatte sich besondere Mühe mit dem Feuer gegeben: es brannte hell und nahezu rauchlos. Eine warme, wohnliche Atmosphäre erfüllte die ganze Küche...

Auf jeden Tisch, auch auf den bescheidensten, kam etwas Besonderes, meist Schaffleisch bei den Wohlhabenden, Huhn oder wenigstens Speck bei den Ärmeren, aber bei allen frische Butter.

Seit Ende des 18. Jahrhunderts buk jede Bäuerin, wenn sie es sich irgend leisten konnte, einen "bairin breac", vermutlich den ursprünglichen Barmbrack, den Teekuchen mit Rosinen.

Natürlich bekam auch St. Brigid davon angeboten. Im Süden wurde ein Stück Kuchen, Butterschnitten oder eine Schale Haferbrei außen aufs Fensterbrett gestellt - vielfach in der stillschweigenden Übereinkunft, daß sich Landstreicher daran sattessen durften. Für die weiße Lieblingskuh, die der Heiligen auf Schritt und Tritt nachtrottet, lag eine Korngabe bereit.

Im Norden kam ein zusätzliches Gedeck auf den Tisch und der erste Bedürftige, der nach dem Zeitpunkt von St. Brigids Besuch auf dem Hof erschien, wurde zum Essen eingeladen.

Fast überall in Irland wurde St. Brigid in Form einer Puppe, der "Brideog" von Haus zu Haus getragen. Es konnte sich dabei um eine auf den Butterquirl gesteckte und bekleidete Garbe handeln oder um ein hübsch hergerichtetes Kinderspielzeug.

Es waren die Unverheirateten, Mädchen wie Burschen, die mit der "Brideog" herumzogen. 1914 erinnerten sich ganz alte Leute noch daran, wie das schönste und sittsamste Mädchen als St. Brigid vom ganzen Dorf unter Gebeten begleitet die Häuser besuchte. Es trug ein Kreuz, einen Schild und einen Schleier, alles kunstreich aus Gras geflochten, und katechisierte alle, vom Bauern bis zur Küchenmagd betreffs ihres Lebenswandels und ihres Glaubens an die Heilige.

Die jungen Männer, "Biddy - Boys" oder "Biddies", machten eine Burleske aus der frommen Prozession, waren sie doch oft als Frauen verkleidet und trugen Masken. Die "Brideog", die sie mit sich herumschleppten, war dementsprechend grotesk. Sie spielten in den Häusern auf und erwarteten dafür eine Gegengabe, flüssig oder in Münzen.

Weitere Bräuche hängen mit "crios" und "brat Bride", St. Brigids Gürtel und Mantel zusammen. Ersteres ist eine Spezialität aus dem Westen. Der Gürtel besteht aus einem ca. 3 Meter langen, mit drei bis vier Kreuzen versehenen, zum Ring geschlossenen Strohzopf und stellt die goldene Bahn der Sonne am Himmelszelt dar. Jeder Hausbewohner soll sich der Sonnen- und Lebenskräfte versichern, indem er dreimal durch den goldenen Reifen geht. Frauen ziehen ihn über Kopf und Schultern und steigen dann aus dem Kreis, Männer müssen mit der rechten Körperseite voran einsteigen und dann den Kopf und die linke Seite nachziehen.

Dunkel existiert noch die Erinnerung auf dem Westufer des Lough Corrib, daß ehemals das Vieh durch riesige, in die Stalltür eingepaßte "crios" getrieben wurde.

u "brat Bride" konnte jedes Stoff- oder Kleidungsstück werden, man mußte es nur in der St. Brigidsnacht draußen lassen, so daß es die Heilige bei ihrem Besuch berühren und ihre Schutz- und Heilkraft daran hinterlassen konnte. Daß die Übertragung stattgefunden hatte ließ sich daran erkennen, daß sich das Gewebe unweigerlich ausdehnte. Die irischen Februarnächte sind gewöhnlich feucht.

"Brat Bride", handelte es sich um ein Seidenband, "ribin Brighid", half gegen Kopf-, Zahn-, Ohren-, Halsschmerzen und allgemein gegen Erkrankung, schützte den Familienvater, wenn er zum Fischen ausfuhr oder eine längere Fahrt unternehmen mußte, war gut gegen Unfruchtbarkeit, erleichterte Frauen und Tiermüttern die Geburt, bewahrte handkehrum auch die Jungfräulichkeit der Töchter, war wirksam als Gegenzauber, vor allem gegen den bösen Blick und sagte dem Besitzer ein dem Zuwachs proportionales langes Leben, einschließlich guter Ernte und gesundem Vieh voraus. Ein Allheilmittel - aber ist es erstaunlich, wenn man bedenkt, von wem es kommt?

Auch wenn St. Brigid’s Day längst nicht mehr denselben Stellenwert besitzt wie früher - völlig vergessen werden kann der Tag der Großen Mutter, ob verchristlicht oder nicht, nie, solange die Ernte von Erde, Wasser, Licht und Wärme abhängt, denn mit dem 1. Februar fängt das bäuerliche Jahr wieder an, und ob "Imbolc" oder "St. Brigid’s Day" - dazu braucht es gutes Wetter.

Vor gut 1500 Jahren hat die fromme Äbtissin von Kildare den Iren versprochen, bis in alle Ewigkeit dafür zu sorgen, daß dies mit dem St. Brigidstag, dem Frühlingsanfang auch wirklich eintritt:

Gach’re la go maith Jeden zweiten Tag gut Wetter

o’m la-sa amach ausgehend von meinem Tag

agus leath mo lae feinigh... und (dazu) die Hälfte von meinem Festtag...

besagt die Legende.

Sylvia Botheroyd

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Samhain

Wenn sich im Irland des 20. Jahrhunderts am Vorabend des 1. November zu Hallowe’en Kinder und Jugendliche mittels Leuchtfarbe ein Skelett auf den schwarzen Pulli und die Strumpfhose sprühen, sich in weiße Leintücher hüllen, passende Masken wie Totenkopf und Gespensterfratze aufsetzen und sich zu den vielen Hexen, Batmen, Draculas und Geistern gesellen, die zu Parties eilen, wenn die Dubliner Feuerwehr Überstunden machen muß, weil soundsoviele "bonfires", Freudenfeuer, außer Kontrolle geraten sind, wenn kostümierte Heimweh - Iren sich auf der ganzen Welt, von Bochum bis Boston, bei einheimischer Musik und womöglich noch Tanz in ihrem Guinness - Pub eine feuchtfröhliche Nacht um die Ohren schlagen, so wissen die wenigsten, daß sie an einem Muster weiterwirken, das vor an die 5000 Jahren die ersten irischen Steinzeitbauern festsetzten. Am Ende des bäuerlichen Jahres, des natürlichen Wachstumskreislaufes, feierten bereits sie ein Fest, das sich um die zwei Hauptinteressen der Menschheit dreht - ihren Fortbestand und ihre Verbindung zu den Ahnen bzw. Göttern.

Die Kelten, die ca. zweieinhalb Jahrtausende später über mehrere Jahrhunderte vom Festland her die Eroberung der grünen Insel betrieben, begannen das Jahr laut Coligny-Kalender mit der dunklen Jahreszeit. Die Inselkelten nannten ihr Fest "Samhain", was sich von "sam-fuin", "Sommers-Ende" herleitet. Zeitlich entsprach es unserem 1. November und teilte das Jahr in eine Winter- und eine Sommerhälfte, eine "Jahresnacht" und einen "Jahrestag". Caesars Beobachtung, daß die Kelten dem Licht das Dunkel und ihrer Zeitberechnung die Nacht voranstellten, bedeutet für Samhain, daß es zusätzlich den Charakter eines Neujahrsfestes annimmt, das den alten Zyklus abschließt und zum neuen überleitet.

Bis zu diesem Zeitpunkt mußte die Ernte aus Feld und Garten sowie die Wildfrüchte aus Hecken und Wald eingebracht sein und die Wintersaat im Boden liegen. Brennstoff, Torf für den ganzen Winter, war säuberlich am Haus geschichtet, die Pacht und sonstige Schulden bezahlt (wenigstens im Idealfall) und Vieh von der Sommerweide zurück.

Schon des knappen Futters wegen, aber auch als Wintervorrat, wurden nicht unmittelbar notwendige Tiere geschlachtet. Wir können sicher sein, daß in vorchristlicher Zeit die Hausschlachtung mit dem Opfer an die Götter zusammenfiel, denen halb aus Dankbarkeit, halb aus Sorge um die Zukunft, wie frühe christliche Quellen verlauten, zu diesem Zeitpunkt auch Feldfrüchte, Milch und Kinder dargebracht wurden.

Im Winterhalbjahr mußte mit Dunkelheit, Kälte und vermehrt mit Krankheit, Mangel und Unfällen gerechnet werden. Das unbeschwerte Sommerleben in freier Natur, das kaum Nahrungssorgen kannte, war zu Ende. Das Leben spielte sich während der nächsten sechs Monate in engen, verrauchten Räumen rund ums Feuer ab. Dafür hob nun die Saison des Geschichtenerzählens an.

Mit den Herden kamen Hirten und Hirtinnen nach Hause. Alle freuten sich, nach den langen Wochen auf entfernten, einsamen Weideplätzen im Moor- und Bergland, Familie und Freunde wiederzusehen. Manchem Burschen wurde dabei klar, daß ihm die Trennung von einem bestimmten Mädchen nicht behagt hatte, und die Mädchen machten ähnliche Entdeckungen. Samhain gab dem Liebesleben Aufschwung, Hochzeiten fanden öfters statt.

Es war und ist in erster Linie ein Fest der Familie, der bestehenden, der zukünftigen, aber auch der vergangenen, denn die Verstorbenen nahmen auch daran teil, bevor sich das von der Kirche auf den 2.November gerückte Allerseelen überall durchgesetzt hatte. Und das dauerte in manchen Gegenden bis ins 19. Jahrhundert.

Zu Ehren der Verschiedenen wurde das Haus zu Samhain blitzblank geputzt, das Feuer besonders sorgfältig gewartet. Quellwasser, Speisen und Tabak auf den Tisch oder vor den Kamin gestellt. Jedermann ließ die Haustür unverschlossen, verkrümelte sich aber früh ins warme Bett - die Toten schätzten es nicht, von den Lebenden beobachtet zu werden. Sie jedoch durften dies: Kevin Danaher überlieferte die Vorstellungen einer alten Frau, die sich um 1820 folgendermaßen ausdrückte: "Wäre das nicht schrecklich, wenn jetzt die Seelen all derer, die je in diesem Haus gewohnt haben, auf den Regalen vom Küchenschrank sitzen würden, oder den Stangen, woran die Speckseiten hangen, und überall dort, wo sie Platz fänden, und uns bei dem, was wir machen, zusähen?" Sie bestätigt, daß "manche Leute" glaubten, daß sich dies jedesmal zu Halloween abspiele.

Immerhin war es nicht ratsam, sich in dieser Nacht nach Schritten umzuwenden - die Toten behielten einen sonst leicht bei sich.

Handkehrum verkleidete sich das Jungvolk als solche, bettelte Gaben für eine Party zusammen, stellte unter viel Lärm Unfug an oder erschreckte Spätheimkehrer, mit Vorliebe angeheiterte.

Zu Samhain gehörte ein gerütteltes Maß an Chaos, an Un-Ordnung. Das Fest sitzt zwar an einer Nahtstelle im Jahreszyklus, schließt aber eine "Zeitenlücke" mit ein. Sommer und Jahr enden mit dem Abend des 31. Oktober. Das neue Jahr und der Winter sind Produkte der Dunkelheit - die Nacht wurde als dazwischenhängend empfunden - sie war unmessbare Zeit, also Ewigkeit, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammengefallen. Deshalb war sie besonders geeignet, die Zukunft zu erkunden, d.h. das, was die Götter vorbestimmten. Manche der heute noch gespielten Gesellschaftsspiele gehen auf den Versuch zurück, den Willen der Götter zu erforschen - bei den Kelten die Vorrangigste Aufgabe der Priester - Gelehrten, der Druiden.

Es ging und geht grundsätzlich um dieselben Fragen: Wer stirbt im kommenden Jahr, heiratet, wird reich, unternimmt eine Reise oder tritt in einen Orden ein?

Es gibt eine lange Liste von Spielen, angefangen vom auch bei uns bekannten Bleigiessen und Äpfelschnappen (wer den dicksten aus dem mit Wasser gefüllten Becken mit den Zähnen hochbringt, hat im nächsten Jahr das dickste Glück), deren Ausgang Angaben über die nächsten zwölf Monate macht.

Besonders wichtig, weil den Fortbestand der Gesellschaft unterstützend, sind die Heirats - Omen. Schon Monate vor Halloween sind die Geschäfte voller "barmbracks", Teekuchen, die einen Ring enthalten. Wer ihn in seinem Stück erwischt, feiert noch im selben Jahr Hochzeit.

Er fehlt auch nicht im traditionellen Samhain - Mahl, "colcannon", der mit gekochtem Grünkohl, frischgehackten Zwiebeln und viel Butter gereicherten Kartoffelpüree. Daneben finden sich, fein säuberlich in Plastik verpackt, noch weitere Symbole: eine Silbermünze, ein Fetzen Stoff bedeuten Reichtum bzw. Armut, ein Hosenknopf, ein Fingerhut Junggesellen- oder Altjungferndasein, eine Medaille den Eintritt ins Kloster. Fischt man aber gar ein Stück Holz heraus, heißt das, daß man vom zukünftigen Partner Prügel zu erwarten hat.

Zwei Hasel- oder Baumnüsse, Kastanien oder Weizenkörner zeigen an, wie sich das Leben zu zweit gestalten wird. Sie werden auf die Namen der beiden Verliebten getauft und dann Seite an Seite ins Feuer gesetzt. Brennen sie langsam und beständig, geht die Ehe gut, springt eine heraus, werden sie sich untreu.

Zuerst auf dem Herdstein erhitzte Bohnen oder Erbsen werden ins kalte Wasser geschmissen. Sinken sie langsam zusammen, deutet das auf Harmonie, sinkt nur eine, kommt die Hochzeit nicht zustande, treiben sie beide an der Oberfläche, gibt es Zank und Streit.

Nach den Aufzeichnungen von Lady Wilde, der Mutter des berühmt - berüchtigten Oscar, wurden zwölf mit Zwirn zu Paaren verbundene Stöckchen im Kreis in die Erde gesteckt. Diejenigen, deren Namen sie trugen, verfolgten mit Spannung, welchen Faden ein Flämmchen einer in die Mitte gesetzten glühenden Kohle zuerst erfaßte - dieses Paar würde als erstes heiraten.

Die letzten Beispiele können ihren rituellen Charakter nicht verleugnen, viele andere sind noch eindeutiger, da sie mit Sprache, eigentlichen Zaubersprüchen, gekoppelt sind. Ein Hinweis, daß die vorgeschriebene Handlung zusammen mit der Formel einen Traum auslösen soll, worin der/die Zukünftige erscheint.

Neun laut abgezählte Efeublätter, den ersten und den letzten Löffel "colcannon" im linken, mit dem rechten Strumpfband des Mädchens zusammengebundenen Strumpf mit einem Spruch unters Kopfkissen gelegt, ein Salzhering in drei Bissen mit einem Gedicht heruntergeschlungen, das dreimalige Umschreiten des Kornvorrates unter einer langen Litanei, dienten demselben Zweck, und als probates Mittel, den Bräutigam zu Gesicht zu bekommen, galt Haar- und Nagelschnipsel des Geliebten in der letzten Samhain - Glut zu verbrennen, oder mit einem Apfel, Krauttopf oder Spaten zu Bett zu gehen. Von harmlosen Dingen, wie dem Schälen eines Apfels in einem langen Streifen, der, zu Boden geworfen sich zum Namenszug des Schatzes fügen soll, bis zum Hasardspiel, wenn z.B. ein junger Mann auf geschlossener Tenne in Teufels Namen Hafer sät, und darauf das Tor aufreisst in der Erwartung, die Braut zu sehen, wohlwissend jedoch, daß stattdessen ebensogut sein eigener Sarg erscheinen könnte, sind alle Register dafür ziehbar.

Immer wieder enden solche Spiele tödlich, wie im Falle des Mädchens, das - wie vorgeschrieben - vor dem Spiegel einen Apfel aß, um die Züge seines zukünftigen Ehemannes zu erblicken, und dem stattdessen der Teufel über die Schulter guckte.

Eines der beliebtesten Wahrsagespiele, das alle angesprochenen Elemente enthält, läßt James Joyce die Antiheldin Maria in der meisterhaften Kurzgeschichte "Clay" / "Erde" aus dem Sammelband "Dubliners" spielen. Das altjüngferliche, im Leben überall zu kurz gekommene Frauchen, das sich mit Pathetischer Beharrlichkeit an alles Positive klammert, feiert, da es keine eigene Familie besitzt, im Hause ihrer Verwandten. Wie vor ihr die Kinder, so wird auch Maria mit verbundenen Augen an den Tisch geführt, auf dem vier Teller stehen. Auf den ersten zweien liegt ein Ring bzw. ein Gebetbuch für Hochzeit und Kloster, die zwei letzten enthalten Wasser für eine lange Reise, im irischen Zusammenhang Emigration, und Erde, die Erde des Friedhofs. Prompt bekommt Maria eine "weiche, feuchte Masse" zu fassen, was aufgeregtes Getuschel unter den Anwesenden auslöst, sowie Bemerkungen, daß das doch zu weit gehe, das sei kein Spiel mehr. Die kleine Alte, die entweder wirklich nicht begreift, was los ist oder nicht begreifen will, muß die Wahl wiederholen - sie fällt aufs Gebetbuch.

Halloween / Samhain ist eine zweischneidige Sache. Die Erde entläßt nicht nur die Toten der Familie, sondern zu Samhain quellen aus den "sidhe", den grünen Feenhügeln, Abgeschiedene verschiedenster Art - Götter, Feen, Elfen, Kobolde, der Puca, Geister, Dämonen.

Eins der unheimlichsten mythologischen Geschöpfe ist Ellen, das dreiköpfige Ungeheuer, das dem berühmtesten Anderswelteingang von Cruachan entsteigt, um ganz Irland zu verwüsten. Verwandt ist ihm Aillen mac Midna, der jährlich den Palast von Tara, das Sinnbild des Sakralkönigtums, niederbrennt, bis es Fionn mac Comhaill gelingt, ihn zu überlisten.

Solche Gestalten dürften die Ausgeburten von Urängsten eines ganzen Volkes sein, das sich den winterlichen Naturereignissen ausgeliefert vorkommt. Ähnliches gilt für die scheußlichen kupferroten Vögel, die unter Führung eines dreiköpfigen Aasgeiers aus derselben Höhle kriechen: wo ihr stinkender Atem hintrifft, stirbt die Vegetation ab. Dem Puca wird dasselbe in die Schuhe geschoben. Jedes Kind weiß, daß man nach Samhain keine Brombeeren mehr essen darf - sie sind nun giftig, da der Puca daraufgespuckt oder auch eine andere Körperflüssigkeit darübergesprüht hat.

So wie heute noch Familie und Freunde an Halloween zusammenrücken, so rückte das ganze Volk an der siebentägigen Versammlung von Tara zu Samhain zusammen. Der legendäre Oberdichter Fodla hatte sie in grauer Vorzeit eingesetzt und sie wurde bis 560 n.Chr. zusammengerufen. Sie bestand aus einem rituellen Teil, wohl eine Art Totenfeier für den Sommer, einem gesetzgebend - politischen und einem kulturell - sportlichen mit dichterischen Darbietungen und Pferderennen. Die sieben Tage waren ein durchgehendes Bankett, bei dem Gesang und Tanz nicht zu kurz kamen. Der Hochkönig benötigte in dieser unsicheren Zeit besonderen Schutz; er saß Feier und Bankett vor mit je einem Provinzkönig links, rechts, hinten und vorne.

Trotz solcher Vorsichtsmaßnahmen sterben Sagenkönige auffällig oft an diesem Datum, und zwar eines dreifachen Todes, was auf rituellen Mord hinweist. Noch vom immerhin nominell christlichen König, Diarmaid mac Cerbhail wird erzählt, wie er von der Lanze seines Gegners durchbohrt im Bierkessel versank, und beim Auftauchen vom Firstbalken des Hauses, das mittlerweile lichterloh brannte, erschlagen wurde.

Aber auch Helden wie Cuchulainn sterben an Samhain, ein Hinweis darauf, wie alt dieses Motiv ist. Immerhin verbringt er die davorliegenden Samhain - Feste vergnüglicher, und zwar in der Anderswelt mit der Unsterblichen Fand, der Gattin des Gottes Manannan mac Lir.

Das Jahr zuvor, zur selben Zeit, hatten sie und eine Dienerin sich in Vogelgestalt auf einem See niedergelassen und Cuchulainn, der unfehlbare Schütze, suchte vergebens, sie zu erlegen. Der Zaubergesang der beiden Vögel schläferte den sich mißmutig an einen Stein lehnenden Helden ein. Jetzt rächten sich die zwei in schöne Frauen Zurückverwandelten und traktierten ihn, obwohl sie ihn anlächelten, mit Gerten, bis er halbtot dalag. Nichtsdestotrotz hatte sich Cuchulainn in seine schöne Peinigerin verliebt und lag nun ein ganzes Jahr in tiefster Depression darnieder. Nicht einmal seine Frau vermochte ihn zum Sprechen zu bringen.

Wie Samhain wiederkam, ließ ihm Fand ausrichten, daß - falls Cuchulainn dazu bereit sei, für ihren Gatten in der Anderswelt eine siegreiche Schlacht zu schlagen - dieser nichts dagegen habe, wenn sie ihm zum Dank ihre Liebe schenkte. Cuchulainn erlebt einen Monat des vollkommenen Glücks in der Anderswelt...

Zu Samhain herrscht erhöhter Zweibahnverkehr zwischen der realen und der Welt der Abgeschiedenen. Wenn auch oft von Raub und Kampf hüben und drüben die Rede ist, braucht er nicht zwangsläufig feindlich zu sein.

Nera, die Hauptgestalt einer Abenteuergeschichte, eines "echtra", die um 750 n.Chr. zum ersten Mal zu Pergament gebracht wurde, mit Sicherheit aber jahrhundertelang mündlich zirkulierte, will - vor die Wahl gestellt - nicht mehr zur Menschenwelt zurück. Der Schauplatz ist der Hof der berühmten Königin Mebh von Connaught, und es dreht sich um eine jener Wetten, wie sie noch heute zu Halloween üblich sind, besonders unter Zeitgenossen, die zu tief ins Glas geschaut haben.

Der Hof hat sich eben um den eisernen Kessel versammelt, da bietet der König jedem, der einem am Vortag Gehenkten einen Weidenring am Bein befestigt, einen verlockenden Preis. Nera wagt als einziger, in dieser Nacht den Richtplatz aufzusuchen. Er hat Probleme mit dem Befestigen des Rings, bis ihn der Tote höflich darauf aufmerksam macht, daß ein Pflock durch die Enden zu stecken sei. Als Gegenleistung bringt ihn Nera zum nächsten Haus, denn ihn dürstet, da er bereits durstig gehenkt wurde. Aber erst das dritte Haus ist nicht durch einen Abwehrzauber geschützt, so daß sie es betreten können. Der Tote trinkt aus dem Wasserbottich und sprüht den letzten Schluck über die schlafende Familie, die nie wieder erwachen wird...

Nera bringt das Gespenst zum Galgen zurück, bevor er sich dem Palast zuwendet, der zu seinem Entsetzen in Flammen steht. Daneben ist ein Berg der abgeschlagenen Köpfe seiner Freunde aufgehäuft. Die Schuldigen sind Andersweltbewohner, die sich eben in ihren Feenhügel zurückziehen. Nera läuft hinterher. Der König unter der Erde nimmt ihn freundlich auf und quartiert ihn bei einer Witwe ein, die Nera heimlich heiratet. Sie klärt ihn auf, daß der Überfall noch nicht stattgefunden habe, nur eine Vorschau aufs nächste Samhain sei. Nera warnt Mbhs Hof rechtzeitig und übers Jahr sind es die Lebenden, die den Feenhügel überfallen und berauben, aber Neras Gattin, seinem Vieh und seinem neugeborenen Sohn wird kein Haar gekrümmt. Nera beschließt, trotzdem unter der Erde weiterzuwohnen, denn da hat er eine Heimat gefunden.

Für Allerheiligen, Halloween, wird auf irisch nicht nur "Samhain" verwendet, sondern mancherorts auch "oiche na sprieanna", "Geisternacht". Das Wörterbuch gibt für "sprid" neben "Geist", "Gespenst" auch "Mut" und "Moral", ähnlich wie im Englischen. Inhaltlich stimmts. Was ist Samhain anderes, als das Fest, das angesichts von Finsternis, Kälte und Tod Lebensmut demonstriert? Vielleicht fiel das dem keltischen Bewußtsein, das mit zyklischer Zeit arbeitete, leichter, als uns mit unserem linearen, christlichen. Samhain führt die "Winterjahresnacht" ein, aber ist diese nicht zugleich nur der Vorabend zum "Sommerjahrestag"?

Auf diesen Seiten geht es eindeutig um vorchristliche Überlieferung, heidnisches Zeug. Es ist alles andere als ein traditioneller Weihnachtsartikel. Aber im Sinne von Weihnachten ist er schon. Richtig betrachtet.

Sylvia Botheroyd

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